von Hans Büning
1. Die übermütigen Ritter
Es war im Jahre, nun, das Jahr spielt eigentlich keine so große Rolle, jedenfalls ist es schon lange her, als an einem stürmischen Herbstabend mehrere Ritter durchnässt und durchfroren an das Tor von Brabeck pochten und Einlass begehrten. Sie hatten des furchtbaren Unwetters wegen ihr Ziel nicht erreichen können. Der Burgvogt nahm sie gastfreundlich auf, der Burgherr selbst war gerade für längere Zeit abwesend. Nachdem ihre Pferde versorgt waren und sie selbst die regennassen Kleider gegen trockene eingetauscht hatten, saßen sie am prasselnden Feuer, streckten ihre vom Reiten und von der Kälte steif gewordenen Beine gegen den Kamin, Man sprach über das Woher und Wohin. Dabei kam einer der Gesellen auf die seltsame Geschichte von der Ahnfrau zu sprechen, er hatte von dieser unseligen Frau gehört und wollte mehr wissen. Die anderen aber lachten ihn aus, glaubten nicht an diese Dinge und spotteten gar der Ahnfrau. Lautes Gelächter erscholl aus der Runde, nur der Burgvogt stimmte nicht mit ein, sein Gesicht war um eine Spur bleicher geworden, denn er wusste es besser, und ihm war nicht wohl in seiner Haut.
Die Mägde hatten indessen den Tisch gedeckt, und alle nahmen hungrig in der großen Halle Platz. Verführerische Düfte drangen aus der Küche, da öffnete sich die Tür, und herein traten die Knappen mit den dampfenden Schüsseln. War es Zufall, dass der erste auf der Türschwelle stolperte und der Länge nach hinschlug? Klirrend prallte die Schüssel auf dem Steinboden auf und zersprang in tausend Scherben. Schinken und Brot kollerten mit lautem Gepolter über den Boden, jawohl, mit lautem Gepolter, denn beides war zu Stein geworden.
Kaum hatten sie recht begriffen, was da vor sich ging, hob sich der Deckel von der großen Schüssel und fiel scheppernd auf die Eichenplatte des Tisches. Grau im Gesicht starrten alle auf das unheimliche Schauspiel, da begann der gebratene Truthahn mit den Flügeln zu schlagen und flog mit lautem Geschrei durch das geschlossene Fenster in die Nacht hinaus. Totenstille herrschte im Saal, wie erstarrt standen die Knappen, und manch einem, der eben noch laut gelästert, trat der kalte Schweiß auf die Stirn.
Um sich Mut zu machen, griffen die Ritter zu den Humpen, die wohlgefüllt auf dem Tische standen. Was ihnen aber da entgegenschlug, war nicht der berauschende Duft eines blumigen Weines, sondern stinkender Brodem. Fluchend und tobend warfen sie die Krüge gegen die Wände, und das nach Fäulnis und Verwesung stinkende Gebräu rann über den Boden, den Raum mit einem erstickenden Geruch erfüllend. Schreiend suchten die Mägde und Knappen das Weite, und auch der Burgvogt schlich, grün-gelb im Gesicht, durch eine Seitentür davon.
Totenstill war es plötzlich geworden, und in diese Stille hinein ertönte von weit her ein Brausen, das, näher kommend, immer stärker wurde und plötzlich mit einem fruchtbaren Getöse durch den Saal fuhr. Die geschlossenen Fensterläden sprangen auf, die Kerzen erloschen und die Vorhänge wirbelten Geistern gleich durch den Raum. Die tapferen Ritter, die wie zu Stein erstarrt dort saßen, nicht fähig, auch nur ein Glied zu führen, stürzten zu Boden, eine unsichtbare Hand hatte unter ihnen die Sessel weggezogen.
Mit einem gewaltigen Donnerschlag öffnete sich unter ihnen der Boden, schwefelgelbe Feuer erleuchteten ein Bild des Grauens, und sie sanken mit einem furchtbaren Schrei in eine unergründliche Tiefe. Dann wurde es still — totenstill. — Am anderen Morgen fand man die Ritter mit zerschlagenen Knochen in dem modrigen Kellergewölbe.
2. Die Tauffeier
Im großen Saal der Burg Brabeck ging es hoch her. Die Tafel bog sich unter der Last der Speisen. Gläser wurden geschwungen und Trinksprüche ausgebracht. Der Wein floss in Strömen. Es wurde Kindtauffest gefeiert. Ein Knappe war der glückliche Vater. Stolz ließ er sich immer wieder von den Gästen beglückwünschen und feiern. Als das Fest seinen Höhepunkt erreicht hatte, stand der Knappe in weinseliger Laune auf, hob sein Glas und lud mit lauter Stimme die Ahnfrau zum Kindtaufschmaus. Einige der Gäste waren ob der kecken Rede bleich geworden, und ein leises Grauen kroch ihnen über den Rücken.
Kaum waren die Worte verklungen, schienen mit donnerndem Getöse die Mauern der Burg zu zerbrechen. Dann war es still, totenstill. Verklungen waren Musik und Gesang, übermütiger Scherz und Hochrufe, durch die offene Tür schwebte in weißen Gewändern die Ahnfrau herein, forderte von den zu Tode erschrockenen Gästen ein Glas Wein und leerte es auf die Gesundheit des Säuglings. Langsam setzte sie das leere Glas auf den Tisch zurück, und in die lastende Stille hinein sprach sie die Worte: „Knappe, über acht Tage lade ich dich ein, mein Gast zu sein, ich selbst werde dich holen.“ Dann schwebte sie wie sie gekommen, wieder zur Tür hinaus. Zittern an allen Gliedern, nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen, standen die Ritter, die Knappen, die Frauen, die Musikanten und die Dienerschaft. Das Fest war zu Ende, ernüchtert schlichen alle davon.
Ein Tag um den anderen verging, fast schon hatte man das schreckliche Ereignis vergessen, da erschien pünktlich zur angesagten Zeit die Ahnfrau, um ihre Einladung wahrzunehmen. Mit angstschlotternden Knien wollte der Knappe durch die Hintertür verschwinden, aber seine Beine versagten ihm den Dienst. Wie angewurzelt stand er und konnte seinen Blick nicht von der weißen Gestalt wenden, die gebieterisch mit der Hand winkte. Wankend folgte er, ob er wollte oder nicht, der vor ihm herschwebenden Gestalt. Es ging die Treppen hinab, bis sich vor ihnen knarrend die Tür zum Grabgewölbe öffnete. Kaum war er eingetreten, schlug sie krachend hinter ihm ins Schloss, und da stand er allein mitten unter den Särgen. Wie gehetzt wandte er sich um und trommelte sich die Fäuste blutig an den dicken Eichenbohlen.
Nichts regte sich da draußen, nur das Echo seiner Angstschreie klang durch die fürchterliche Stille. Erschöpft und in Schweiß gebadet setzte er sich auf die Treppenstufe, um Atem zu schöpfen. Da weiteten sich seine Augen in grausigem Entsetzen, und der Angstschrei erstarb ihm in der Kehle über das, was er dort sah. Die Deckel der Särge öffneten sich, bleiche Knochenhände langten heraus, gelbe Totenschädel schoben sich nach, und dann standen sie vor ihm, weiße, klappernde Gerippe. Langsam setzten sie ein Knochenbein vor das andere, schritten auf ihn zu, hoben die dürren Arme, ihn zu greifen. Das war zu viel, ein grausiger Schrei entrang sich seinem Munde, und ohnmächtig sank er zu Boden.
Als der Morgen graute, erwachte er, ein blasser Lichtstreif fiel durch das kleine Fensterchen, und durch die weitgeöffnete Tür. Und dort oben stand wieder die furchtbare Gestalt und winkte ihn zu sich. Angstbebend musste er gehorchen. Als er den Fuß auf die letzte Stufe setzte, verschwand die Erscheinung. Ein kranker und gebrochener Mann wankte durch die Räume. Ein schweres Fieber hatte ihn gepackt und warf ihn aufs Krankenlager. Einige Wochen siechte er dahin, dann starb er, das schreckliche Erlebnis war zu viel für ihn gewesen.
3. Die Erlösung
Einige Zeit später kehrte ein seltsamer Mann auf Haus Brabeck ein. Mit einem einfachen Gewande bekleidet, einen Beutel mit Wegzehrung über der Schulter und einem kräftigen Stab in der Hand klopfte er an das Tor. Es war einer der vielen Pilger, die zur damaligen Zeit durch die Lande zogen nach Rom oder gar nach Palästina, Buße zu tun für ihre Sünden. Freundlich hatte man ihn aufgenommen. Als er den Staub der langen Wanderung abgewaschen hatte, ging er in die Burgkapelle, um Gott zu danken für seine Hilfe und ihn um seinen Schutz für die Weiterreise zu bitten. Er hatte sein Gebet beendet und wollte die Kapelle verlassen, da sah er eine seltsame Erscheinung an der Tür vorüberschweben. Er fasste sich ein Herz, und noch ehe diese Erscheinung — es war die Ahnfrau — im sogenannten Blauen Zimmer verschwinden konnte, rief er sie an und fragte sie, wie sie erlöst werden könne. Da führte sie ihn in das Burgverlies, wies auf die dort liegenden Gebeine und sagte, wenn die dort bestattet wären, würde auch sie Ruhe finden in ihrem Grabe.
Am anderen Tage sorgte der Pilger für ein Begräbnis und ließ eine Messe für die seit vielen Jahrzehnten dort unbestattet gelegenen Toten lesen. Seitdem wurde die Ahnfrau nie wieder gesehen.
aus: Schriftenreihe Nr. 6 des Vereins für Orts- und Heimatkunde Kirchhellen